16. Januar 1945 Das Präsidialamt des rumänischen Ministerrates teilt mit:
Laut Verordnung des Hohen Sowjetischen Kommandaments werden Arbeitskräfte mobilisiert und dorthin verschickt, wo man sie benötigt. Betroffen sind folgende Kategorien deutschstämmiger Bürger:
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Männer zwischen 16 und 45 Jahren
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Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, außer Mütter mit Kindern unter einem Jahr
Die Mobilisierung hat provisorischen Charakter, da es sich um notwendige Arbeit als Kriegsschadeneinsatzleistung handelt.
Berta, mein Besuchsdienst, war 17, als sie nach Russland deportiert wurde. Kurze Zeit später wurde ihr Vater in die Ukraine verschleppt. Die Mutter und ihr 15-jähriger Bruder Hansi konnten Zuhause bleiben.
Am 16. Januar 1945 kamen drei Männer mit einer Namensliste nach Reșita, die Heimatstadt Bertas. Auf dieser Liste stand unter vielen anderen Namen zu deportierender Deutscher auch Bertas Nachbar. Dieser war jedoch geflohen. Aus Angst, selbst mitgenommen zu werden, versteckte sich Berta im Wald. Doch mit der Zeit wurde ihr kalt.
Als sie wieder ins Haus kam, klopfte es an der Tür. Nachbarn hatten auf das gesunde Mädchen hingewiesen. Sie sollte als Austausch für den geflohenen Mann dienen. Die Zahl der Arbeitskräfte musste schließlich stimmen. Dass Berta mit ihren 17 Jahren eigentlich zu jung war, kümmerte keinen. Mit einem Rucksack gefüllt mit etwas Speck, Schinken und Brot sowie einem Holzkoffer mit Kleidern und einer Decke verließ Berta ihre Heimat.
„Liebste Eltern und Bruder! Ich habe eure Karten mit Dank und bester Gesundheit erhalten. Es freut mich, dass ihr alle auch gesund seid. Es geht mir jetzt auch gut. Wo und was ich arbeite, werdet ihr ja schon wissen.”
31 Tage reiste Berta in einem Güterzug mit anderen Deportierten weit nach Russland hinein. Auf dem Weg wurde ihr Schinken schnell verzehrt – man teilte untereinander, was man hatte. Nachdem mehr als 3500 km Wegstrecke hinter ihr lagen, erreichte sie ihren Bestimmungsort, nicht weit von der kasachstanischen Grenze entfernt.
Das Arbeitslager nahe der Stadt Plast bestand aus zwei großen Baracken – einer Frauen- und einer Männerbaracke. Darin standen aneinandergereihte Stockbetten mit Strohmatratzen. Als Kopfkissen dienten den Frauen die wenige mitgebrachten Kleidung. Einzig die Geliebte, die sich ein Kommandant genommen hatte, hatte einen kleinen Raum mit Bett, Tisch und Schrank zur Verfügung. Essen gab es in einem Speisesaal. In einer kleine Bibliothek mit deutschen Bücher konnte man sich etwas zum Lesen ausleihen.
Bertas Arbeit bestand aus zwei Teilen. Zum einen sortierte sie Steine zur Kohlereinigung im Bergwerk und zum anderen isolierte sie Draht im Elektrizitätswerk. Die Arbeit war in Schichten von jeweils 8 h pro Tag eingeteilt. Sonntag hatte sie frei. In ihrer Freizeit las sie oder setzte sich im Sommer mit anderen Arbeiterinnen auf die Wiese vor der Baracke.
„Es geht mir jetzt auch gut. Ich bin wieder so ganz dick wie Zuhause. Wenn ich Zuhause werde sein, werde ich euch arm essen. Ich habe sehr guten Appetit.”
In der ersten Zeit etwas abgemagert, nahm Berta schließlich wieder zu. Das lag auch daran, dass sie einen Zuschuss an Essen bekam, da sie ihre Tagesnorm immer überschritt. Zu Essen gab es meist Kartoffeln und Bohnen. Dazu wurde in einem großen Kessel Schweinstrank ausgeschenkt.
Auf ihrem Weg zum Kohlebergwerk kam Berta an einem Bunker vorbei, in dem ein Wächter wohnte, der sie zu ihrem Arbeitsplatz begleitete. Seine Frau ludt Berta manchmal zu sich Nachhause ein und machte ihr einen „Tee“ (ein Löffel Zucker in heißem Wasser). Oft gab sie ihr noch Zucker mit, damit die Rumänendeutsche sich selbst das heiße Getränk machen konnte.
Im Kohlebergwerk arbeitete Berta mit einem sehr freundlichen Russen zusammen, der manchmal für sie mitarbeitete. („Das Fräulein soll sitzen und ich arbeite statt ihr! Weil ich weiß, wenn die Eltern es wüssten, sie möchten nicht ständig weinen um ihr!). Die Arbeit im Bergwerk war dabei keineswegs ungefährlich. Jeder Bergarbeiter wusste: Wenn eine fliehende Ratte zu sehen war, musste man schleunigst zum Ausgang, denn es war irgendwo ein Unglück passiert.
Auch im Elektrizitätswerk waren die Kollegen sehr freundlich. Eine alte Frau aus Kasachstan, die Berta nach ihrer Schicht ablöste, hatte einmal zwei Kartoffeln dabei und obwohl sie sehr wenig hatte, schenkte sie Berta eine davon.
Aber nicht jeder hatte das Glück genug Essen zu bekommen. Eines Tages, als sie allein nach Hause ging – ihr Weg führte durch ein Kartoffelfeld – kam ihr ein berittener Soldat entgegen. Er fragte sie, ob sie Kartoffeln gestohlen habe, was Berta verneinte. Trotzdem tastete der Soldat sie ab und ließ sie schließlich gehen. Hätte sie tatsächlich Essen mitgehen lassen, hätte sie als Strafe drei Tage in einem Raum stehend verbringen müssen ohne etwas zu Essen zu bekommen.
„Meine Lieben, ich habe schon große Sehnsucht nach euch. Besonders jetzt, wenn der strenge Winter kommt, möchte ich schon so gerne mit euch im geheizten Zimmer Musik hören und warmen Tee trinken.Was macht noch mein Hansi Bruder? Er soll mir eine Fotografie schicken.”
Der Winter in Russland war mit bis zu -40°C bitterkalt. Wenn Berta von der Arbeit zurückkehrte, musste sie sich vor den langen Ofen in der Baracke stellen und ihre angefrorene Kleidung auftauen, da sie sich anders nicht entkleiden konnte.
Gerade in der kalten Jahreszeit, leistete die Decke, die Berta von Zuhause mitgenommen hatte, ihr unschätzbare Dienste. Ihre Bettnachbarin hatte lediglich die Decke, die sie im Lager bekommen hatten. So teilten sich die zwei die Decke und solange Berta auf der Arbeit war, nahm sich ihre Nachbarin das warme Bettzeug.
Viele Arbeiter starben in den Wintermonaten. Da von Dezember bis März jedoch der Boden gefroren war, konnten die Toten nicht, wie sonst üblich, neben dem Lager verscharrt werden. Also wurden die Leichen in einem Schuppen gelagert und im Frühjahr vergraben.
„Ich habe das Nikolausfest sehr schön verbracht. Wir haben gegessen und uns unterhalten wie Zuhause. Wir alle Reșitarer haben ein Gemeinschaftsessen organisiert. Liebste Mutter, wie ich sehr will, das Schicksal nicht, dass wir das Weihnachtsfest gemeinsam feiern, darum liebe Mutter weine nicht, wenn dir das Herz auch bricht!”
Da sich Bertas Lagerkommandant eine Reșitarer Frau aus ihrem Lager als Geliebte genommen hatte, konnten sie kleine Vorteile genießen. So gab es einmal ein Nikolausessen mit allen Deutschen aus ihrer Heimatstadt.
Einmal luden kriegsgefangenen Offiziere zu einem Tanztee ein. Den Offizieren ging es wesentlich besser als den Arbeitern. Sie mussten nicht arbeiten, wohnten sehr gut in einem eigenen Zimmer, bekamen gutes Essen und einige Extrawünsche erfüllt. Es war eine interessante Abwechslung mit den „strammen deutschen Offizieren in Uniform“ zu tanzen – besonders, weil ein so hübscher Leutnant darunter war.
„Von euch schon lange keine Post mehr erhalten. Hat Hansi mich schon vergessen, weil er gar keine Zeile für mich übrig hat? Es geht ihm bestimmt gut. Ach liebste Mutter, wann kommt doch endlich mal die Zeit? Manchmal glaube ich mein Herz zerspringt und ich kann die Zeit kaum mehr aushalten.”
Schließlich kam doch die Zeit der Heimkehr für Berta, allerdings aus keinem erfreulichen Grund. Aufgrund der eisigen Kälte froren ihre Brüste ein. Sie kam in ärtztliche Behandlung und wurde mit einem Krankentransport nach Hause gebracht. Im Lazarett verkaufte sie noch einer Frau ihr rosa, mit Blümchen bedecktes Satinnachthemd. Die Frau trug das Kleid später auf einem Ball und wurde, so Berta, dort von allen bewundert.
Nach 4 Jahre 9 Monate und 2 Tage, am 18. Oktober 1949, endete für die inzwischen 22-Jährige ihre Zeit in der Deportation. Während der kommunistischen Diktatur durfte über die Deportation nicht gesprochen werden. Erst 40 Jahre später, 1989, nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceauceșcu, kamen Entschädigungszahlungen ins Gespräch.
Seit 1990 bekommt sie vom rumänischen Staat 950 Lei (knapp 210 €) monatlich. Momentan füllt sie Formulare aus und reicht Akten ein, da aus Russland Geld kommen soll. Das wird allerdings schon seit einigen Jahren versprochen. Wenn man bedenkt, dass Berta bald 90 Jahre alt wird, wäre es nicht verwunderlich, wenn man sich mit der entgültigen Zusage noch etwas Zeit ließe… 😉
Trotz ihrer harten Zeit in Russland betont Berta immer, dass die Russen sie nicht schlecht behandelt haben und keine schlechten Menschen waren.
Genießt die friedliche Zeit, die ihr mit euren Lieben zu Weihnachten verbringen dürft! 🙂 Crăciun fericit euch allen!