La revedere!

23. 06. 17: Morgen geht es zurück nach Deutschland! Ich bin schon ziemlich aufgeregt. Es erscheint mir so unwirklich, dass ich bald in Deutschland sein soll. Das Jahr ist einfach so schnell vergangen. 😮 Trotzdem spüre ich, wie ereignisreich es war. Im Kopf habe ich viele neue Gedanken und Erfahrungen und in meinem Herzen neue, liebgewonnene Menschen. Ein paar Erinnerungsstücke aus dem Jahr haben sich an meiner Zimmerwand gesammelt (siehe oben).

Dieses Jahr war sicherlich mein intensivstes Lebensjahr. Manchmal kamen mir in sehr schönen Momenten Tränen. Es waren meist Momente, die ich in Gemeinschaft mit anderen erlebte und in denen ich realisierte, was für ein Glück ich habe, wie zum Beispiel ein Moment auf der Autofahrt in Tabara (ins Sommerlager). Während wir im Bus fröhlich Musik hören und singen, erscheint ein wunderschöner Ausblick in ein grünes Tal, das im Hintergrund von Bergen umgeben ist. Die Lebensfreude im Auto gemischt mit dem grünen Leben und der Erhabenheit der Natur lassen einen zauberhaften Moment entstehen.

Neben vielen sehr schönen Erfahrungen habe ich auch ziemlich unangenehme machen müssen. Aber ich möchte keine davon missen! Denn die Situationen, aus denen ich am meisten gelernt habe, waren die scheinbar nicht so guten.

Während des Jahres erkannte ich außerdem, welches Glück und welchen Reichtum mein Leben bietet; zum einen bezogen auf meinen Lebensstandard, zum anderen auf die Menschen in meiner Umgebung. Zu hören, dass andere weniger haben, und es zu sehen sowie zu erleben, sind zwei Dinge. Reich bin ich auch in Bezug auf meine Familie und Freunde in Deutschland. Durch ihr Fehlen lernte ich sie viel mehr wertschätzen. Diese Erkenntnis festigt meinen Entschluss meine privilegierte Situation zu nutzen und mich für andere Menschen einzusetzten. Tretboot Ida, Ela

Heute ging es noch einmal mit Ida, Elena und Pater Josef Tretbootfahren und danach ein sehr gutes Eis essen. Von vielen anderen habe ich mich schon davor verabschiedet, wobei ich darauf geachtet habe, den Abschied nicht so entgültig erscheinen zu lassen. Denn ich komme sicher wieder zu Besuch. Deshalb sage ich la revedere (auf Wiedersehen)!

24. 07. 17: Ich sitze im Bus. Beim Abschied von Ela & Ida konnte ich noch nicht realisieren, dass mein FSJ vorbei ist und ich unsere WG verlassen werde. Als die beiden dann am Busbahnhof winken, versteht es mein Gehirn endlich – mir kommen die Tränen. abschied-festhalten.jpg

Meine sehr nette Sitznachbarin sorgt jedoch für Ablenkung. Bei unseren Gesprächen über Gott und die Welt erfahre ich ziemlich viel Neues über Rumänien. Und über Deutschland: Wie viele Rumäninnen betreut sie für ein paar Wochen eine alte Frau in Deutschland. Wie viel sie denn für die Arbeit bekomme, frage ich. Sie erzählt, dass sie einen Arbeitsvertrag über 8 Stunden pro Tag mit 8,50 € unterschreibe, faktisch aber 1 Stunde pro Tag frei habe und  für 1,50€ pro Stunde arbeite. Warum sie sich das gefallen lasse? „Wo verdiene ich denn sonst 1000€ im Monat?“

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Die erste Fuhre aussortierter Sachen. Das kann jemand anderes sicher besser gebrauchen.

25. 07.17: Ich bin wieder zu Hause! Einerseits ist mir alles vertraut und andererseits stehe ich hier als veränderte Person und sehe meine Umgebung mit neuen Augen. Als ich meine in Deutschland zurückgelassene Kleidung sehe, bin ich ein wenig schockiert: Ich wusste ja, dass ich viel habe, aber so viel?! Mein Entschluss auszumisten und langsam meinen Besitz auf wirklich benötigtes und mich glücklich machendes zu reduzieren, wird sofort in die Tat umgesetzt.

Auch andere Dinge sind für mich eigenartig: Aus unserem breiten Duschkopf kommt so viel und so schnell heißes Wasser heraus; ich vergesse, dass wir eine Geschirrspülmaschine haben, beginne abzuwaschen und meine Matratze ist so unheimlich weich. Ich habe mich daran gewöhnt in einer kleinen Wohnung im vierten Stock eines Wohnblocks zu wohnen. Es war für unser Leben mehr als ausreichend. Momentan kommt mir dieses große Haus mit den vielen Sachen unnötig und übertrieben vor. Aber egal, wie groß oder klein unser Haus ist: Ich bin wieder mit meiner Familie zusammen und das macht mich glücklich! ❤

Ein Jahr neigt sich dem Ende

Zum Ende meines Jahres hin möchte ich mit euch ein paar wichtige Erfahrungen aus meiner Zeit in Rumänien teilen.

Über das Jahr konnte ich die Entwicklung von manchen Essensgästen in der Suppenküche mitverfolgen. Zum Beispiel von der jungen, obdachlosen Frau, die öfter mit ihrem ca. sechs Jahre alten Sohn betteln geht, nun von jemand anderem aus der Suppenküche schwanger sein sollte und die ich trotzdem letztens an einer Lacktüte schnüffeln sah. Oder von dem Mann mit Alkoholproblemen, dem ich an seinem glasigen Blick und stolperndem Schritt anmerke, wenn er wieder mehr trinkt.

Auch die körperlichen Auswirkungen eines Lebens auf der Straße konnte ich viel bewusster wahrnehmen: Narben, die Unterarme bedecken (vielleicht vom Ritzen?), blaue Flecken im Gesicht (von Schlägereien?) oder O-Beine (vielleicht auf Grund von Unterernährung?). Immerhin kommen manche Essensgäste schon seit ihrer Kindheit in die Suppenküche, wie Fotos aus der Anfangszeit der Suppenküche, vor ca 20 Jahren, zeigen.

Ich erinnere mich an einen Anthropologiekurs aus der Schule: Wir untersuchten alte, menschliche Knochen und uns wurde erklärt, dass die rundgeformten Beinknochen häufig ein Zeichen von Unterernährung in der Kindheit waren. So wird das geschichtliche Problem der O-Beine für mich plötzlich ganz real und aktuell. Mir fällt auf, dass ich keine Ahnung davon habe, was ein Leben auf der Straße alles mit sich bringen kann.Trotz dieser Eindrücke, bewahre ich eine gewisse emotionale Distanz zu den Gästen. Wohl auch deswegen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass der Aufbau eines näheren Verhältnisses für mich nicht möglich und auch nicht immer wünschenswert ist. Aufgrund der ganz anderen Lebensrealität werde ich als die reiche Deutsche und somit als mögliche Geldgeberin oder von den fast ausschließlich männlichen Gästen als blondes Mädchen, der Mann vielleicht mal näher kommen möchte, gesehen.

Ein kurzes Gespräch, ein Lächeln oder eine Begrüßung gehören dazu, wenn man sich auf der Straße begegnet, aber mehr war für mich nicht möglich. Es gab Situationen, in denen ich mich mit klaren Worten oder (selten) körperlich zur Wehr setzen musste, weil eine angemessene Distanz nicht mehr gewahrt wurde.

Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau hier häufig anders verstanden wird als in Deutschland. Mir wurde auch bewusst, wie naiv ich manchmal in Bezug auf das Tragen von knapper Kleidung war. Ich sage nicht, dass man keine kurze Kleidung tragen sollte, aber man muss auch nicht immer provozieren – letztendlich bin ich die „Geschädigte“, wenn etwas passiert.

Gerade in diesem Punkt ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, dass es ein gesellschaftliches Bewusstsein für manche Dinge existiert. Wenn deine Umgebung nämlich beispielsweise sensibler für einen angemessenen, respektvollen Umgang zwischen Mann und Frau ist, dann greifen auch andere viel schneller ein.

Anders als in der Suppenküche fällt es mir in Carani schwerer, mich nicht von rückläufigen Entwicklungen der Kinder runterziehen zu lassen. Besonders berühren mich die Zwillinge, die langsam bis auf ihr Skelett abmagern, und ein Junge, der unter anderem an Schizophrenie leidet und dessen Zustand sich immer weiter verschlechtert. Inzwischen wurde er in eine Psychatrie eingewiesen und wird aus ihr voraussichtlich nie wieder entlassen werden.

tanzen carani gruppeUmso wichtiger war es für mich zu lernen, meinen Elan und meine Fröhlichkeit in der Tagesstätte zu bewahren. Es ist wichtig, dass die Kinder im Zentrum auch mal ihre Sorgen und Probleme, die sie vielleicht zu Hause haben, vergessen können und zusammen mit den anderen eine schöne Zeit verbringen.

In meinen letzten Tagen versuche ich verstärkt meine Arbeit nicht mehr als Arbeit zu sehen. Denn ich bin nicht dort, weil ich einen Job machen muss, sondern, weil es mich glücklich macht, gemeinsam eine fröhliche Zeit zu verbringen.

In Gottes Händen

Während meines FSJs ist mir eine Sache besonders wichtig geworden: mein Glaube. Dazu hat sicherlich auch Rumänien seinen Teil beigetragen, denn mir scheint, dass hier für viele Menschen ihre religiöse Überzeugung eine sehr wichtige Rolle spielt.

Das merkt man schon im ganz normalen Alltag, z. B. in meiner Einsatzstelle am gemeinsamen Tischgebet vor und nach dem Mittagessen , am Beten vor einer längeren Autofahrt, an Ausdrücke wie „Gott hilft“ (Doamne ajută), die durchaus ernst gemeint werden, oder am Bekreuzigen beim Passieren einer Kirche.

An sich ist das Gottvertrauen in meinem Umfeld sehr stark. Schon oft habe ich Sätze gehört wie: „Gott gibt uns, was wir benötigen. Er weiß, was wir brauchen.“ und das von Menschen, die in ihrem Leben sehr schwere Schicksalsschläge erlitten haben. Diese Selbstverständlichkeit von Gottes Anwesenheit & Wirken beeindruckt mich.

Gott ist da

„Meine Hilfe ist beim Herrn!“ – Täfelchen in Carani

Als ein Mädchen aus der Tagesstätte am Gehirn operiert wurde, haben wir eine Woche lang jeden Morgen im Stuhlkreis gemeinsam einen (stark verkürzten) Rosenkranz für sie gebetet.
Gelegentlich wird mit den Kindern auch über Gott und den Glauben gesprochen. So haben wir z. B. einmal darüber geredet, was Engel sind, wie sie in unserem Leben wirken und was für Erfahrungen wir Einzelnen gemacht haben.

Ein Aspekt, der mich nach einem Gespräch besonders zum Nachdenken gebracht hat, war die Aussage, dass „Gott, das Wichtigstes im Leben ist“ – also wichtiger als Familie, Partner, Freunde, Beruf etc.. Das ist eine Ansicht, die ich in Deutschland irgendwie noch nie mitbekommen habe und die ich, ehrlich gesagt, auch nicht einfach so unterschreiben würde.

Neben dem „rumänischen Einfluss“ haben mir auch die vermehrte Freizeit während des FSJs und besonders die Tatsache, dass ich als Jesuit Volunteer eine Anbindung an ein Kloster habe, geholfen, mich mehr mit meinem Glauben zu beschäftigen.

Im Kloster haben ich von den ignatianischen Exerzitien erfahren, die ich Anfang Mai für eine Woche gemacht habe. Dass es für einen Anfänger empfehlenswert ist, die ersten Exerzitien nur für die Dauer eines Wochenendes zu machen, konnte ich dabei deutlich spüren.

Es ist mir zwar nicht schwergefallen eine Woche zu schweigen, aber das Meditieren hatte es in sich. Dreimal am Tag für eine Stunde zu meditieren, also in einer zuvor gelesenen Bibelstelle zu bleiben, sich allein darauf zu konzentrieren und passiv zu bleiben, damit die sich vorgestellte Bibelszene bzw. Gottes Wort für sich sprechen kann, viel mir sehr schwer.

Aber auch wenn ich mich im Meditieren noch „exerzieren“ darf, haben mir die Exerzitien einiges gebracht. Da wir jeden Tag Bibelstellen zur Auswahl bekommen haben, über die wir meditieren konnten, habe ich die Bibel besser und intensiver kennengelernt. Manche Stellen haben mich nämlich berührt, andere haben mich zum Weiterlesen gebracht und wieder andere haben Fragen über meinen Glauben aufgeworfen, die ich mir vorher nicht gestellt hatte.

Jesuskärtchen

Geschenk von einer an den Exerzitien teilnehmenden Schwester

Ich habe für mich eine Relevanz der Bibel in meinem Leben entdeckt und noch einmal bekräftigt bekommen, das mein Glaube nicht nur ein schickes Beiwerk in meinem Leben ist, sondern mir vielmehr ein Lebensziel gibt; nämlich (nach dem Vorbilde Jesu) in (bedingungloser) Liebe für andere zu leben. Dass das natürlich ein Ideal ist, nachdem ich auch häufig nicht handele, tut dem trotzdem keinen Abbruch, dass ich während diesem Jahr die befreiende Erfahrung machen durfte, aus der Kraft heraus, die Jesu mir schenkt, verzeihen zu können und schlechte Gedanken oder Gefühle gegenüber anderen überwinden zu können.

Umso mehr habe ich mich gefreut als ich am Ende der Exerzitien von einer Schwester ein Bild von Jesus mit flammendem Herzen – meine Lieblingsdarstellung von ihm – geschenkt bekommen habe (siehe links).

Von einem sehr schönen Glaubenserlebnis muss ich euch noch erzählen: Ich durfte in diesem Jahr nämlich Firmpatin eines rumänischen Mädchens werden. Nicht nur in diesem Fall konnte ich hier, in Rumänien, erleben, dass meine Religion mich mit anderen verbindet.

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Carani: Geschichten

Ich habe bereits von meiner Stelle als Tagesstätte berichtet. Dass mein Projekt allerdings noch wesentlich mehr als „lediglich“ die Betreuung und individuelle Förderung unserer Kinder leistet, wurde mir erst mit der Zeit klar.

Jeden Mittag kommt eine arme, alte Frau aus dem Dorf zu uns und bekommt einen Teller des Mittagessens der Kinder. Erhält das Tageszentrum Kleiderspenden, werden diese an arme Familien weitergegeben. Im Winter werden Familien mit Holzlieferungen unterstützt. Da einige Familien sich kein Auto leisten können, fahren Mitarbeiter des Zentrums sie mit einem unserer Kleinbusse in die Stadt. Sie helfen ihnen bei ihrem Gang zu den Ämtern oder bei Krankenhaus- und Arztbesuchen. Wenn es notwendig ist, übernimmt das Zentrum die Bezahlung von medizinisch Notwendigem wie z. B. Orthesen und Rollstühlen. Es werden Elterngespräche geführt und besprochen, wie man das Kind individuell besser fördern kann.

Auch über die Kinder habe ich mehr erfahren:

Mir fällt oft auf, dass es gerade bei Menschen mit Behinderung schwer zu erkennen ist, zu was sie in der Lage sind und wie viel sie selbstständig machen können.

Ein Junge hat zum Beispiel zu Hause, auch als er älter wurde, noch ein Fläschen bekommen. Die Begründung: Er könne nicht alleine essen. Während er unterschätzt wurde, wurde ein anderer Junge überschätzt. Trotz Abraten der Mitarbeiter des Zentrums wurde er von seinen Eltern in die Schule geschickt, um sein Abitur zu machen. Wenn man bedenkt, dass er manchmal Schwierigkeiten hat, mit den Fingern bis zehn zu rechnen, kann man sich vorstellen, was passierte. Er war überfordert, wurde gemobbt und brach schließlich ab.

Das Problem ist, dass das am Kind nicht unbedingt schadlos vorrübergeht. Der erste Junge hat heute durch die Flasche ein ziemlich krummes Gebiss und der andere stottert seit seiner schlimmen Schulerfahrung.

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Gerade bei den vielen jungen Erwachsenen mit Behinderung stellt sich oft die Frage, wie viel Selbstständigkeit man ihnen zuspricht und wie viel Eigenverantwortung man sie übernehmen lässt. Dass sie irgendwann selbstständig und eigenverantwortlich leben müssen, ist bei vielen unausweichlich. Wenn ihre Eltern nämlich gestorben sind, sind sie auf sich allein gestellt, sollten sie nicht Verwandte haben, die sich um sie kümmern. Es scheint, zumindest für die Kinder aus unserer Tagesstätte, keine Wohnheime zu geben, in denen sie teilweise selbstständig wohnen könnten. Vor dieser Realität verschließen sich aber leider einige Eltern und lassen ihr Kind nicht selbstständig werden.

Ein weiteres Problem, das mir aufgefallen ist, sind fehlende Eltern. Damit meine ich nicht, dass die Kinder gar keine Eltern haben, sondern dass ihre Eltern über lange Zeit weg sind, weil sie im Ausland arbeiten. Es ist keine leichte Entscheidung seine Familie zurückzulassen und sie nur für kurze Zeit jedes Jahr zu sehen. Ich lerne in meinem Auslandsjahr, was ja wohlgemerkt nur ein Jahr ist, den Wert von Familie und meinen Eltern auch ganz anders zu schätzen. Für einige rumänische Eltern überwiegt beim Abwägen zwischen Geld und Familie aber leider meist das Geld. Für die Kinder ist das oft sehr traurig, was ich an manch vergossener Träne sehen konnte.

Eine große Herausforderung für mich ist aber ein Zwillingspaar. Die beiden elfjährigen Schwestern haben eine genetische Krankheit, die dazu führt, dass sie sich körperlich und geistig immer weiter zurückentwickeln bis sie schließlich sterben. Beide konnten schon, als sie vor wenigen Monaten zu uns kamen, nicht sprechen und verkrampften sich manchmal, liefen aber teilweise noch alleine umher. Inzwischen gehen sie nur noch schwierig und bleiben plötzlich starr stehen.

Mich macht das manchmal innerlich wütend. Denn die Elfjährigen schauen mich oft mit lachendem Gesicht an, so als würden sie sagen: „Haha, schau mal, ich bleib schon wieder einfach stocksteif stehen!“ Aber so ist es natürlich nicht. Im Gegenteil: Sie verlieren immer mehr die Kontrolle über ihren Körper. Dass die zwei trotz allemdem sehr viel lachen bzw. ein fröhliches Gesicht machen, beeindruckt mich. Die Geduld und Kraft aufzubringen mit den zweien einen verlorenen Kampf weiterzuführen, fällt mir manchmal echt schwer. Was mir hilft, ist auf das Positive zu schauen: ein Lächeln zu sehen, die Gemeinschaft mit den anderern zu genießen. Das ist, meine ich, eine Aufgabe für jeden von uns.

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Gedanken nach 8 Monaten

Mitte März ging es für uns Osteuropa-JVs nach Serbien zum Zwischenseminar; ein willkommener Anlass um das Erlebte der letzten acht Monate geordnet zu reflektieren.

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unsere Gruppe vom Zwischenseminar

Durch meinen Freiwilligendienst hat sich sehr viel verändert. Ich lebe seit 8 Monaten in einem anderen Land mit einer anderen Kultur, spreche (wenn auch längst nicht fehlerfrei) eine neue Sprache und habe eine Arbeitsstelle, auf der ich als Teil eines Teams arbeite. Mein ganzes Leben lang habe ich bei meiner Familie gelebt, jetzt wohne ich in einer WG mit zwei Mitfreiwilligen und meine Freunde, die mich teilweise meine gesamte Gymnasialzeit begleitet haben, sind nicht mehr da.

Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass ich immer wieder vor neue Situationen gestellt werde, in denen ich unsicher bin, wie ich reagieren soll und wie ich sie bewältigen kann. In Deutschland habe ich meist gewusst, was ich tun kann oder wen ich um Rat frage. Gerade zu Beginn des Jahres habe ich oft noch Leute aus Deutschland um Rat gefragt, aber die können manche Situationen nicht nachvollziehen. Mir wurde erst mit der Zeit bewusst, dass ich auch hier Ansprechpartner habe und meine Möglichkeiten hier nutzen kann und sollte.

Trotzdem tat es natürlich gut, sich auf dem Seminar mit anderen deutschen Freiwilligen auszutauschen. Es war beruhigend zu sehen, dass sie ähnliche Situationen erleben und ähnliche Probleme haben:

– mit dem Leben in einer anderen Kultur
– mit dem Kontakt bzw. dem nicht vorhandenen Kontakt zu Freunden
– mit aufdringlichen Männern (auch wenn das Voluntäre in Bosnien, wo viele Muslime leben, nicht so kannten)
– und Probleme mit sich selbst, während man sich selbst besser kennenlernt

Damit ihr versteht, was für komische Situationen sich so ergeben können, hier ein Anekdote:

Ich habe manchmal Probleme die Witze meiner rumänischen Kollegen als solche zu erkennen. Einmal hatten wir nachmittags kein Wasser mehr in der Küche. Also fragte ich, ob wir noch welches hätten. Eine Kollegin sagte: „Nein, haben wir nicht.“
Daraufhin meinte ich betreten, dass ich dann wohl die letzte Wasserflasche genommen habe. Meine Kollegin meinte in gespielter Empörung: „Na super Johanna, jetzt müssen wir wegen dir Leitungswasser trinken!“ [Anmerkung: das Leitungswasser hier kann man trinken, aber es schmeckt halt nach Chlor.] Auch meine anderen Kolleginnen witzelten noch ein wenig über das von mir aufgetrunkene Wasser.
Letztendlich hatte ich wegen des aufgetrunkenen Wassers ein schlechtes Gewissen und habe deswegen am nächsten Morgen zehn Liter Wasser gekauft. Als mich meine Kollegin mit den zwei Kanistern kommen sah, bekam sie erstmal einen Lachanfall. Sie erklärte mir: Es habe einfach keiner mehr Lust gehabt, kurz vor unserer Abfahrt noch in den Keller zu gehen, um Wasser zu holen.
Ich hatte zwar verstanden, dass sie mich aufzogen, weil ich die letzte Flasche genommen hatte, aber, dass sie auch darüber witzelten, dass ich dachte es sei überhaupt die letzte Flasche, war mir nicht aufgefallen. Das ist mein Problem mit den Witzen: Es werden faktisch wahre Aussagen mit einem Gesicht getroffen, das nicht andeutet, dass man die Aussage ironisch meint.

Mir ist in der Situation zum einen aufgefallen, dass ich vorsichtig sein muss, was ich ernst nehme. Zum anderen wurde mir bewusst, dass ich unterbewusst ein paar Vorurteile haben muss, wenn ich meiner Stelle nicht einmal zutraue genug Wasser zu kaufen oder genug Geld dafür zu haben…

Einerseits hatte ich manchmal das Gefühl im wahrsten Sinne des Wortes „neben mir zu stehen“, was mich dazu bringt eine Pause von dem Jahr nehmen zu wollen und zu Heimweh führt. Andererseits fühle ich inzwischen, dass ich angekommen bin. Ich habe zu manchen Menschen eine engere Beziehung, habe meinen Platz auf der Arbeit gefunden und meine Umgebung ist mir vertraut.

Jahreszeitenwand Carani bearbeitet

„Jahreszeitenwand“ (hier der Frühling) über dem Eingang zum Gemeinschaftsraum in Carani

Gerade in den kälteren Monaten, war es mir schwerer gefallen, die schönen Momente meines Jahres wahrzunehmen. Geholfen beim Heben meiner Stimmung haben nicht nur die steigenden Temperaturen, sondern ich habe mich auch bewusst auf das Schöne in meiner Umgebung konzentriert. Und davon gibt es eine Menge! Es fehlt manchmal einfach nur der Blick dafür.

Mamaligari?

Die Rumänen seien, so erzählte mir eine Kollegin, zur Zeit des Kommunismus häufig als „mamaligari“ bezeichnet worden. Abgeleitet von dem weichen, zur rumänischen Kochtradition gehörenden Maisbrei Mamaliga wurde auf die scheinbare Trägheit und geduldige Hinnahme der Rumänen angespielt.

Aber auch Mamaliga kann explodieren… Das zeigte sich nicht nur in der Revolution von 1989, die zum Sturz Ceaușescus führte, sondern auch in den Demonstrationen, die seit Ende Januar in ganz Rumänien stattgefunden haben und noch immer stattfinden. Es sind die größten Demonstrationen seit der Dezemberrevolution ’89.

Ausgelöst wurden sie durch eine Eilverordnung der sozialdemokratische Regierung, die angeblich zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse dienen sollte. Korruption sollte nur noch ab einem Vergehen von umgerechnet 44 000 € geahndet werden. Praktisch hätte das Dekret also Korruption in einem erheblichen Ausmaß legalisiert und wäre einem Amnestieerlass für einige korrupte Politiker gleichgekommen.

So wäre auch einer der sofortigen Nutznießern dieser Verordnung der Parteichef der PSD, Liviu Dragnea, gewesen, der momentan wegen Amtsmissbrauch vor Gericht steht. Eine junge Rumänin merkte in einem Zeitungsinterview dazu an: „Eilverordnungen sollen in Rumänien laut Gesetz in Notfällen erlassen werden und das war nun definitiv keiner. Außer für Liviu Dragnea vielleicht, der steht nämlich gerade wegen Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung vor Gericht.“

Die Wut der Bürger richtet sich somit nicht nur gegen korrupte Politiker in Bukarest, sondern auch gegen Dragnea persönlich. So hat z. B. jemand angelehnt an das Spiel „Flappy Bird“ das Spiel „Flappy Dragnea“ entwickelt. Ziel des Spieles ist es, so viel Geld wie möglich zu rauben. Statt einem Vogel steuert man Dragneas Kopf, der sich mit Herzchenaugen schon auf seine Aufgabe freut. Das Spiel beginnt mit der Aufforderung: „Drücke, um Dragnea zur Arbeit gehen zu lassen!“

Wie humorvoll und ironisch die Rumänen trotz der ernsten Lage sind, passt zu meinem Eindruck, dass Rumänen oft selbstironisch sein können und das Komische auch in schwierigen Situationen sehen (was manchmal echt entspannend ist).

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Demonstranten auf der Piata Victoriei in Timisoara. Die Demonstrationen zogen sich auch durch die Stadt, sodass hier nur ein kleiner Teil der Demonstranten zu sehen ist. (Spitzenzahl 40 000 Demonstranten an einem Abend)

In den Protesten wurde eine Emotionalität, Kreativität und Leidenschaft mancher Rumänen sichtbar, die mich selbst nicht kalt ließ. Ich muss z. B. gestehn, dass ich beim Hören des Songs „10 zile“ (10 Tage), der spontan als Reaktion auf die Verordnung geschrieben wurde, eine Gänsehaut bekam. Zehn Tage übrigens, weil dies der Zeitraum ist, der bis zum Inkrafttreten der Notverordnung nötig gewesen wären. In diesem Lied lässt der rumänische Sänger sein Land Rumänien folgendermaßen sprechen:

Ich habe nur noch 10 Tage zu leben, ihr sollt wissen meine Kinder, dass ich euch geliebt habe,
ich habe nur noch 9 Tage und anschließend werde ich im Dreck liegen,
ich habe noch 8 Tage, in denen ich noch aufschreie, bis ich wieder in die Kälte zurückkehre,
ich habe nur noch 7 Tage um sie zu stoppen, die mich gnadenlos opfern,
ich habe nur noch 6 Tage, in denen ich noch hoffen kann, dass ich nicht in die Dunkelheit von gestern komme
ich habe noch 5 Tage und das ist alles, ich werde mich von unten nicht mehr erheben können
ich habe nur noch 4 Tage, um alles zu ändern, denn meine Tränen sind die Mures und der Oltul
ich habe nur noch 3 Tage kein Wunder, so sagt man, wird länger dauern
ich habe leider nur noch 2 Tage, ich will euch wieder sehen Bruder neben Bruder
ich habe noch einen Tag und nur eine einzige Sehnsucht Lasst mich, ich bitte euch, nicht sterben!“

Der drastische Text verdeutlicht nicht nur wie emotional für einige das Thema ist, sondern spricht auch wichtige Themen an, die viele Rumänen allgemein zu beschäftigen scheinen: Der Ärger über korrupte Politiker, die nur an ihren eigenen Vorteil denkend das Wohl des Staates „opfern“, die schwierige Entwicklung hin zu einem Land, das den Kindern eine aussichtsreiche Zukunft bietet, und der Wunsch nach Zusammenhalt und Zusammenarbeit aller Rumänen.

Vieles resultiert aus der Erfahrung der Menschen im Kommunismus; einer Zeit, die bei vielen scheinbar ein tiefes Misstrauen in die Politik hinterlassen hat. Verstärkt wird so ein Gefühl durch die Tatsache, dass Parteien versuchen über ihre eigenen Sender und Zeitungen für sich zu werben und der Großteil der Medien anscheinend von Politikern kontrolliert wird. Dieser Wunsch nach echter, objektiver Berichterstattung spiegelt sich in den Namen mancher Medien, wie „Adevarul“ (die Wahrheit) oder „Realitatea“ (die Realität), wider.

Das mangelnde Vertrauen in die Politik äußerte sich auch in der Wahlbeteiligung der Parlamentswahlen im Dezember letzten Jahres. Sie betrug gerade mal 39%, wobei viele „ältere“ Menschen wählen gingen, die sich wohl durch Wahlgeschenke der PSD, wie beispielsweise Renten- und Lohnerhöhungen, beeinflussen ließen.

Abschließend möchte ich zum Thema Korruption anmerken, dass sich gerade in den letzten Jahren viel geändert hat. Durch die entschiedene Arbeit der Antikorruptionsbehörde DNA sind auch einflussreiche Politiker unter immer größeren Druck geraten, sodass Rumänien zu „einem der europäischen Vorbilder“ im Bereich der Korruptionsbekämpfung geworden ist laut Spiegel.

Manche Politiker versuchen der Behörde wiederholt Steine in den Weg zu legen, wobei die Notverordnung einen besonders dreisten und irrwitzigen Versuch dessen darstellt. Sie ist also nicht ein Zeichen dafür, wie unheimlich korrupt es hier doch zugeht, sondern zeigt im Gegenteil, dass das energische Durchgreifen der DNA wirksam ist. Viele Bürger haben Vertrauen in die Behörde. Auf einer Demonstration, an der Elena und ich teilnahmen, wurde oft der Ruf laut „DNA să vina să vă ia“ (Die DNA soll kommen, um euch zu holen). Die Wut über die Politik der Regierung ist momentan, denke ich, deshalb so groß, weil sich vieles geändert hat und man Angst hat, dass diese Fortschritte wieder zurückgegangen werden.

Einen Zeitungsartikel, der die aktuelle Lage Rumäniens meiner Meinung nach sehr gut darstellt, findet ihr hier.

Viata româneasca – rumänisches Leben

Wenn man in Timișoara, einer westlich geprägten, reichen Stadt Rumäniens, lebt, kann man gelegentlich vergessen, dass in Rumänien manches anders ist als in Deutschland. Gut, dass ich eine Arbeitsstelle habe, die mich auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Wie überall in Europa war es auch bei uns eine Zeit lang sehr kalt – wenn auch nicht so kalt wie bei euch in Deutschland hehehe ;D Aber auch -16°C haben es in sich. Ich unterhielt mich mit einer jungen Frau aus der Tagesstätte darüber und sie erzählte mir, dass ihr in dieser Nacht das Holz ausgegangen sei. Na super, während ich bemängele, dass ich nicht mehr halbnackt durch die Wohnung laufen kann, beklagt sie, dass ihr Körper von der nächtlichen Kälte schmerzt…

Später erzählte mir eine Kollegin, dass es nicht ganz so schlimm um den Holzbestand stünde. Dank Holzspenden, die arme Familien jährlich von der Tagesstätte erhalten, habe die Familie genug Holz, um durch den Winter zu kommen. Allerdings nur, wenn man das Holz maßvoll verbrauche. Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung braucht die junge Rumänin jedoch sehr viel Wärme. Weil sie nicht verstünde, dass man sich kein größeres Feuer leisten könne, habe ihre Mutter gesagt, es sei kein Holz mehr da.

Wie bei dieser Familie scheint es bei vielen in den Dörfern lebenden zu sein: Man hat zwar das Nötigste, aber dafür muss hart gearbeitet werden und manchmal ist trotzdem Unterstützung von außen nötig. Was vielen außerdem hilft über die Runden zu kommen, ist der Obst- und Gemüseanbau und die Haltung von Tieren im eigenen Garten. Wenn ein Auto fehlt, wird gerne per Anhalter gefahren.

Ein andere Seite Rumäniens zeigt sich in Bukarest, wo eine kulturweit-Freiwillige und ich Anfang Januar waren. In Gesprächen mit anderen Hostelbewohnern hörte man häufig den Satz: „Das hätte ich nicht erwartet in Rumänien“.

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Übrigens eine Sache, die ich nicht erwartet hätte: Ich glaube, ich habe ein besseres Eis als in Nidda gefunden, wo die meiner Meinung nach beste Eisdiele steht, die auch einen italienischen Weltmeister übertrifft. Es gab einfach veganes Eis, Sorbet, Säfte, Kuchen und das alles ökologisch. Auch die Spielecke der Eisdiele hat es uns angetan. In dem Haufen aus Styrophorkugeln waren kleine Spielsachen versteckt, die man entdecken konnte.

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im Hintergrund die Bibliothek

Bukarest wartet mit einigen eindrucksvollen Gebäuden auf. Die Nationalbibliothek gefiel mir besonders – ein sehr moderner Bau mit tollen Lern- und Sitzmöglichkeiten und ziemlich vielen Computern. Leider waren wir an unserem letzten Tag und kurz vor Schließung da, aber immerhin konnten wir uns noch einen Bibliotheksausweis machen lassen.

Das spektakulärste Gebäude ist aber das Parlamentsgebäude:

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Im Reiseführer stand folgendes dazu: „Für diesen Bau musste ganz Rumänien bluten: 700 Architekten und 20 000 Arbeiter schufteten in drei Schichten rund um die Uhr. Das Beste vom Besten wurde aus ganz Rumänien herangekarrt: Marmor, Kristallglas, Eichen-, Kirsch- und Nussholz wälderweise. Die Bauarbeiten fanden zu einer Zeit statt, in der die Bevölkerung gezwungen wurde, ihren Stromverbrauch um 40% zu reduzieren (Winter 1984/85) und die Temperatur in den Wohnungen 12°C nicht überschreiten durfte (1986)“kaputte-steinplatte-parlament

Mich wundert es nicht, dass der damalige kommunistische Diktator Nicolae Ceaușescu nicht mehr die Fertigstellung seines Palastes miterlebte…

Bei soviel übertriebenem Protz konnte ich nicht ernst bleiben (siehe Foto). Nachdem wir das Parlamentsgebäude besichtigt hatten, legten Isi, meine Reisebegleitung, und ich auf einer vereisten Fläche noch kurzerhand einen Walzer hin. Nach so viel Wahnsinn erschien uns das auch nicht mehr eigenartig.

Besonders in Bukarest sieht man viele Rumäninnen, die sich sehr modebewusst kleiden und sehr auf ihr Äußeres bedacht sind. Dabei wird viel und oft Glitzer und Fell getragen. Auch bei den (Firmen)Autos (BMW, Mercedes, Audi) wird sehr auf das Erscheinungsbild geachtet und es gibt ziemlich viele Autowaschanlagen.

Aber es gibt natürlich auch die andere Seite des Stadtlebens; wobei mir die Unterschiede in einer Stadt wie Bukarest noch mehr auffielen als in Timișoara. Als wir auf dem Patriarchenhügel die Kathedrale des Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche besuchten, kam uns eine Frau mit ihrem kleinen Sohn entgegen. Sie bat um einen Leu. Später sahen wir sie nochmals. Ihr kleiner Junge lief mit einem Karton über dem Kopf umher, während sie ihr Geld zählte. Es waren sicherlich 20 – 30 Lei. Ein gutes Beispiel dafür, was zusammenkommen kann, wenn jeder auch nur ein bisschen gibt. In diesem Sinne lege ich euch mein Spendenkonto wärmstens ans Herz! 😉

Manche Dinge sind, denke ich, überall in Rumänien gleich. Wenn man viele oder die „richtigen“ Bekannten hat, wird etwas so schnell erledigt, dass ich manchmal nur staunen kann. Uns ist beispielsweise Samstagvormittag die Sicherung durchgebrannt. Nachdem wir mit Hilfe eines Nachbarn den Sicherungskasten gefunden hatten, standen wir vor dem nächsten Problem. Die kleine Sicherung, die durchgebrannt war, musste repariert werden. Wir mussten schnell jemanden finden, der uns helfen konnte, denn unser Kühlschrank ging auch nicht mehr. In dem Moment kommt Idas Deutschnachhilfe mit ihrer Mutter zu uns. Als sie von der Situation erfährt, meint sie nur:“ Kein Problem mein Mann ist Elektriker.“ Nach einer halben Stunde war sie wieder mit ihm da und drei Minuten später ging unser Strom wieder. Selbstverständlich hat er uns die Sicherung kostenlos gewechselt… 😮 🙂

Facebook und Fotos sind ebenfalls zwei Dinge, um die man nicht herumkommt. Fotos und Videos werden bei jeder Gelegenheit gemacht, selbst wenn man als Sänger beim Auftritt in der Kirche sich von seinem Chor entfernen muss, um ihn filmen zu können:D Auf Facebook wird dann das gesammelte Material gerne und viel mit seinen 1000(den) Freunden (viele Bekannte sind ja sehr wichtig) geteilt. Aber nicht nur Foto, Aufenthaltsorte oder Gefühlsstatus werden geteilt – ein einfaches „XXX – trinkt gerade Tee“ (50 Leuten gefällt das) tut es auch:b

Eine Frage, die mir hier sehr sehr häufig gestellt wird, ist: „Hast du einen Freund?“. In Rumänien heiratet man in der Regel früher und eine Partnerschaft & die Familie scheinen einen höheren Stellenwert als in Deutschland zu haben. Mir wurden schon von diversen Leuten Männer angetragen, wobei ich nie sicher bin, wie viel Ernsthaftigkeit hinter den Vorschlägen steckt. Besonders wenn sich so ein Gespräch, wie das mit dem Nachbarn meines Besuchsdienstes, Berta, entwickelt:

Nachbar: „Hallo meine Liebe – hast du über unsere Sache nachgedacht?“
Ich (verwundert) „Welche Sache?“
„Na, dass ich dir ein paar Telefonnummern von Männern besorge.“
(lachend) „Ah, nein, danke, die brauche ich nicht.“
„Willst du keinen Freund?“
„Nein, jetzt nicht.“
„Aber du wirst doch wohl heiraten wollen?“
„Na, sicher nicht in diesem Jahr!“
„Ich sag dir trotzdem ein paar Nummern.“
„Nein, danke, ich will das nicht.“
„Ja, willst du gar keinen Mann?“
„Ich will keinen Mann!“ (gehe und bringe mein Fahrrad hinters Haus)
Er scheint diesen Satz wohl ziemlich ernst genommen zu haben, denn als ich nochmals an seinem Fenster vorbeikomme, fragt er ganz nachdenklich: „Sag mal, habe ich das vorhin richtig verstanden, dass du auf Frauen stehst?“

Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, habe ich in meiner Zeit in București nicht gerade bescheiden gelebt und auch in Timioșara habe ich immer öfter bemerkt, dass ich ein Leben lebe, das nicht dem einer unteren Mittelschicht, der Richtlinie für einen JV, entspricht. Kein „normaler“ Rumäne wäre wohl so hirnverbrannt wie ich und würde sich eine Reismilch für 9 Lei (2€) kaufen. Bedingt dadurch, dass Bukarest für rumänische Verhältnisse teuer ist und dadurch, dass wir JVs zu Weihnachten, statt uns etwas zu schenken, Geld gespendet haben, verblieben mir am 8. Januar nur noch 100 Lei.

So habe ich mit 100 Lei in 25 Tagen auskommen müssen. Während dieser Zeit habe ich einige Gefühlsphasen durchgemacht:

  1. Die naive Startphase [„Ich habe gerade noch einen Großeinkauf erledigt und außerdem 4 Lei pro Tag – das schaffe ich locker!“]
  2. Ernüchterungsphase [Paket verschicken, gerade kaputt gegangenes Fahrrad reparieren? Sorry is nich drin! Also: Ab jetzt jeden Morgen/Nachmittag 50 Minuten zu Fuß laufen]
  3. Aufstiegsphase [Meine Kollegen schenken mir einmal Gemüse, Ida gibt mir ein paar Straßenbahnkarten, ich habe noch ebbes an Geld]
  4. Frustrationsphase [Durch den Beginn eines Rumänischunterricht muss ich viel mehr ausgeben als gedacht: Ich muss mein Einkaufsplan komplett neu überdenken. Das billigere und schlechter ausschauendere Obst, das ich jetzt kaufe, wird teilweise schneller schlecht. Ich bemerke wie emotional abhängig ich von Essen bin. Es nervt mich, dass ich nicht „gescheit“ Essen kann und keine Auswahl an Obst und Gemüse habe]
  5. Akzeptanz [Ich nehme es inzwischen hin, dass ich manche Sachen nicht mehr Essen kann, aber freue mich auch schon, wenn ich wieder Geld habe]

Zwei Dinge habe ich in dieser Zeit von Rumänen gelernt:
Erstens ist Essen selbst anzubauen, zu kochen oder herzustellen (z. B. die teure Reismilch) nicht nur billiger, sondern auch gesünder und ökologischer. Und zweitens sollte Teilen und einander (Aus)Helfen auch für mich zur Selbstverständlichkeit werden, unabhängig davon, wie viel ich habe.

Verschleppt nach Russland

16. Januar 1945   Das Präsidialamt des rumänischen Ministerrates teilt mit:

Laut Verordnung des Hohen Sowjetischen Kommandaments werden Arbeitskräfte mobilisiert und dorthin verschickt, wo man sie benötigt. Betroffen sind folgende Kategorien deutschstämmiger Bürger:

  • Männer zwischen 16 und 45 Jahren

  • Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, außer Mütter mit Kindern unter einem Jahr

Die Mobilisierung hat provisorischen Charakter, da es sich um notwendige Arbeit als Kriegsschadeneinsatzleistung handelt.

Berta, mein Besuchsdienst, war 17, als sie nach Russland deportiert wurde. Kurze Zeit später wurde ihr Vater in die Ukraine verschleppt. Die Mutter und ihr 15-jähriger Bruder Hansi konnten Zuhause bleiben.

Am 16. Januar 1945 kamen drei Männer mit einer Namensliste nach Reșita, die Heimatstadt Bertas. Auf dieser Liste stand unter vielen anderen Namen zu deportierender Deutscher auch Bertas Nachbar. Dieser war jedoch geflohen. Aus Angst, selbst mitgenommen zu werden, versteckte sich Berta im Wald. Doch mit der Zeit wurde ihr kalt.

Als sie wieder ins Haus kam, klopfte es an der Tür. Nachbarn hatten auf das gesunde Mädchen hingewiesen. Sie sollte als Austausch für den geflohenen Mann dienen. Die Zahl der Arbeitskräfte musste schließlich stimmen. Dass Berta mit ihren 17 Jahren eigentlich zu jung war, kümmerte keinen. Mit einem Rucksack gefüllt mit etwas Speck, Schinken und Brot sowie einem Holzkoffer mit Kleidern und einer Decke verließ Berta ihre Heimat.

Liebste Eltern und Bruder! Ich habe eure Karten mit Dank und bester Gesundheit erhalten. Es freut mich, dass ihr alle auch gesund seid. Es geht mir jetzt auch gut. Wo und was ich arbeite, werdet ihr ja schon wissen.

31 Tage reiste Berta in einem Güterzug mit anderen Deportierten weit nach Russland hinein. Auf dem Weg wurde ihr Schinken schnell verzehrt – man teilte untereinander, was man hatte. Nachdem mehr als 3500 km Wegstrecke hinter ihr lagen, erreichte sie ihren Bestimmungsort, nicht weit von der kasachstanischen Grenze entfernt.

Das Arbeitslager nahe der Stadt Plast bestand aus zwei großen Baracken – einer Frauen- und einer Männerbaracke. Darin standen aneinandergereihte Stockbetten mit Strohmatratzen. Als Kopfkissen dienten den Frauen die wenige mitgebrachten Kleidung. Einzig die Geliebte, die sich ein Kommandant genommen hatte, hatte einen kleinen Raum mit Bett, Tisch und Schrank zur Verfügung. Essen gab es in einem Speisesaal. In einer kleine Bibliothek mit deutschen Bücher konnte man sich etwas zum Lesen ausleihen.

Bertas Arbeit bestand aus zwei Teilen. Zum einen sortierte sie Steine zur Kohlereinigung im Bergwerk und zum anderen isolierte sie Draht im Elektrizitätswerk. Die Arbeit war in Schichten von jeweils 8 h pro Tag eingeteilt. Sonntag hatte sie frei. In ihrer Freizeit las sie oder setzte sich im Sommer mit anderen Arbeiterinnen auf die Wiese vor der Baracke.

Es geht mir jetzt auch gut. Ich bin wieder so ganz dick wie Zuhause. Wenn ich Zuhause werde sein, werde ich euch arm essen. Ich habe sehr guten Appetit.

In der ersten Zeit etwas abgemagert, nahm Berta schließlich wieder zu. Das lag auch daran, dass sie einen Zuschuss an Essen bekam, da sie ihre Tagesnorm immer überschritt. Zu Essen gab es meist Kartoffeln und Bohnen. Dazu wurde in einem großen Kessel Schweinstrank ausgeschenkt.

Auf ihrem Weg zum Kohlebergwerk kam Berta an einem Bunker vorbei, in dem ein Wächter wohnte, der sie zu ihrem Arbeitsplatz begleitete. Seine Frau ludt Berta manchmal zu sich Nachhause ein und machte ihr einen „Tee“ (ein Löffel Zucker in heißem Wasser). Oft gab sie ihr noch Zucker mit, damit die Rumänendeutsche sich selbst das heiße Getränk machen konnte.

Im Kohlebergwerk arbeitete Berta mit einem sehr freundlichen Russen zusammen, der manchmal für sie mitarbeitete. („Das Fräulein soll sitzen und ich arbeite statt ihr! Weil ich weiß, wenn die Eltern es wüssten, sie möchten nicht ständig weinen um ihr!). Die Arbeit im Bergwerk war dabei keineswegs ungefährlich. Jeder Bergarbeiter wusste: Wenn eine fliehende Ratte zu sehen war, musste man schleunigst zum Ausgang, denn es war irgendwo ein Unglück passiert.

Auch im Elektrizitätswerk waren die Kollegen sehr freundlich. Eine alte Frau aus Kasachstan, die Berta nach ihrer Schicht ablöste, hatte einmal zwei Kartoffeln dabei und obwohl sie sehr wenig hatte, schenkte sie Berta eine davon.

Aber nicht jeder hatte das Glück genug Essen zu bekommen. Eines Tages, als sie allein nach Hause ging – ihr Weg führte durch ein Kartoffelfeld – kam ihr ein berittener Soldat entgegen. Er fragte sie, ob sie Kartoffeln gestohlen habe, was Berta verneinte. Trotzdem tastete der Soldat sie ab und ließ sie schließlich gehen. Hätte sie tatsächlich Essen mitgehen lassen, hätte sie als Strafe drei Tage in einem Raum stehend verbringen müssen ohne etwas zu Essen zu bekommen.

Meine Lieben, ich habe schon große Sehnsucht nach euch. Besonders jetzt, wenn der strenge Winter kommt, möchte ich schon so gerne mit euch im geheizten Zimmer Musik hören und warmen Tee trinken.Was macht noch mein Hansi Bruder? Er soll mir eine Fotografie schicken.

Der Winter in Russland war mit bis zu -40°C bitterkalt. Wenn Berta von der Arbeit zurückkehrte, musste sie sich vor den langen Ofen in der Baracke stellen und ihre angefrorene Kleidung auftauen, da sie sich anders nicht entkleiden konnte.

Gerade in der kalten Jahreszeit, leistete die Decke, die Berta von Zuhause mitgenommen hatte, ihr unschätzbare Dienste. Ihre Bettnachbarin hatte lediglich die Decke, die sie im Lager bekommen hatten. So teilten sich die zwei die Decke und solange Berta auf der Arbeit war, nahm sich ihre Nachbarin das warme Bettzeug.

Viele Arbeiter starben in den Wintermonaten. Da von Dezember bis März jedoch der Boden gefroren war, konnten die Toten nicht, wie sonst üblich, neben dem Lager verscharrt werden. Also wurden die Leichen in einem Schuppen gelagert und im Frühjahr vergraben.

Ich habe das Nikolausfest sehr schön verbracht. Wir haben gegessen und uns unterhalten wie Zuhause. Wir alle Reșitarer haben ein Gemeinschaftsessen organisiert. Liebste Mutter, wie ich sehr will, das Schicksal nicht, dass wir das Weihnachtsfest gemeinsam feiern, darum liebe Mutter weine nicht, wenn dir das Herz auch bricht!

Da sich Bertas Lagerkommandant eine Reșitarer Frau aus ihrem Lager als Geliebte genommen hatte, konnten sie kleine Vorteile genießen. So gab es einmal ein Nikolausessen mit allen Deutschen aus ihrer Heimatstadt.

Einmal luden kriegsgefangenen Offiziere zu einem Tanztee ein. Den Offizieren ging es wesentlich besser als den Arbeitern. Sie mussten nicht arbeiten, wohnten sehr gut in einem eigenen Zimmer, bekamen gutes Essen und einige Extrawünsche erfüllt. Es war eine interessante Abwechslung mit den „strammen deutschen Offizieren in Uniform“ zu tanzen – besonders, weil ein so hübscher Leutnant darunter war.

Von euch schon lange keine Post mehr erhalten. Hat Hansi mich schon vergessen, weil er gar keine Zeile für mich übrig hat? Es geht ihm bestimmt gut. Ach liebste Mutter, wann kommt doch endlich mal die Zeit? Manchmal glaube ich mein Herz zerspringt und ich kann die Zeit kaum mehr aushalten.

Schließlich kam doch die Zeit der Heimkehr für Berta, allerdings aus keinem erfreulichen Grund. Aufgrund der eisigen Kälte froren ihre Brüste ein. Sie kam in ärtztliche Behandlung und wurde mit einem Krankentransport nach Hause gebracht. Im Lazarett verkaufte sie noch einer Frau ihr rosa, mit Blümchen bedecktes Satinnachthemd. Die Frau trug das Kleid später auf einem Ball und wurde, so Berta, dort von allen bewundert.

Nach 4 Jahre 9 Monate und 2 Tage, am 18. Oktober 1949, endete für die inzwischen 22-Jährige ihre Zeit in der Deportation. Während der kommunistischen Diktatur durfte über die Deportation nicht gesprochen werden. Erst 40 Jahre später, 1989, nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceauceșcu, kamen Entschädigungszahlungen ins Gespräch.

Seit 1990 bekommt sie vom rumänischen Staat 950 Lei (knapp 210 €) monatlich. Momentan füllt sie Formulare aus und reicht Akten ein, da aus Russland Geld kommen soll. Das wird allerdings schon seit einigen Jahren versprochen. Wenn man bedenkt, dass Berta bald 90 Jahre alt wird, wäre es nicht verwunderlich, wenn man sich mit der entgültigen Zusage noch etwas Zeit ließe… 😉

Trotz ihrer harten Zeit in Russland betont Berta immer, dass die Russen sie nicht schlecht behandelt haben und keine schlechten Menschen waren.

Genießt die friedliche Zeit, die ihr mit euren Lieben zu Weihnachten verbringen dürft!  🙂 Crăciun fericit euch allen!

Eine Woche in meinem Leben

Meine Woche startet montags mit dem Dienst in der Suppenküche. An die Suppenküche musste ich mich erst gewöhnen. Ich habe in Deutschland schon in einer Essensausgabe gearbeitet und hatte dann erwartet, dass es hier genauso wird – da wurde ich eines besseren belehrt.

Die supă sărăcilor (Suppe für die Armen) bietet armen und obdachlosen Menschen die Möglichkeit ein kostenloses, warmes Mittagessen – bestehend aus Suppe und Brot – zu erhalten.

Mittags werden die häufig schon vor der Tür des Klosters wartenden Gäste von einem anderen Helfer eingelassen. Es folgt die Begrüßung der Gäste, die manchmal nicht nur aus einem Händedruck, sondern auch einem Handkuss besteht. Nachdem abgesprochen worden ist, welche zwei Gäste nach dem Essen kurz sauber machen, folgt ein gemeinsames Vaterunser. Allgemein scheint das Tischgebet in Rumänien ein wichtiger Bestandteil des Essens zu sein.

Beim Essen kann es manchmal ein bisschen lauter werden und es wird auch mal eine mitgebrachte Zwiebel mit der Faust zerteilt:D Das liegt aber auch an dem Alter der Menschen, die zum Essen kommen. Es sind viele junge Erwachsene unter ihnen. Manche von ihnen kamen von Kindesalter an. So zeigte mir letztens ein junger Mann sich und seinen Bruder als Kinder auf einem Foto an der Wand der Suppenküche.

Da nach dem Essen nur die Tische abgewischt und der Boden gefegt wird, sind manche Ecken schon etwas länger nicht geputzt worden. Also haben wir JVs eine kleine Putzaktion gestartet. Dan, ein Art Hausmeister im Kloster, hat die Gelegenheit genutzt und eine Lampe ausgetauscht, die sich auch hervorragend als Fotomodell geeignet hat:

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Foto by Ida

Nachdem der Abwasch von der Suppenküche erledigt ist, geht es weiter zu meinem Besuchsdienst. Berta, die Dame die ich besuche, ist eine 89-jährige Banater Schwäbin. Unsere Gespräche dienen nicht nur der Aufbesserung meines Sprichwortschatzes („Geduld bringt Rosen und mit der Zeit verschissene Hosen“), sondern ich kann auch viel über Bertas bewegtes Leben erfahren.

Einmal sind wir zwei Spazieren gegangen – was etwas Willensstärke meinerseits erfordert hat, da Berta oft an Knieschmerzen leidet („Schön ist die Jugendzeit, sie kommt nicht mehr“). Aber „Befehl ist Befehl“ und so habe ich sie doch noch nach draußen bekommen. Und wie hat sich das für sie gelohnt! Innerhalb einer halben Stunde fanden wir uns von fünf Freundinnen Bertas umringt, wobei eine ihre ehemalige Briefträgerin war.

Das gefällt mir hier: Dadurch, dass hier nicht so viel technisiert und unter höchstem Leistungssdruck abgewickelt wird, kommt man eben mit der Postbotin ins Gespräch, lädt sie auf einen Tee ein und kann so auch Freundschaften schließen.

Spazieren können Berta und ich inzwischen nicht mehr, da die Temparatur um die 0 Grad liegt und sogar schon Schnee gefallen ist, aber „der nächste Sommer kommt bestimmt“!;)

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erster Schnee auf dem Spielplatz neben unserem Haus

Von Berta aus geht es dann weiter zum Chor im Kloster. Dort singen neben einige junge Leute auch einen Mutter mit ihrer autistischen Tochter mit, was ich ziemlich cool finde. Momentan studieren wir für Weihnachtskonzerte rumänische Weihnachtslieder ein.

Dienstagnachmittag steht der zweite Chor auf dem Programm. Dieser ist im deutschen Altersheim in Temeschwar, weshalb ich, glaube ich, die einzige bin, die unter 60 Jahre alt ist. ^^ Auch hier singen wir momentan Weihnachtslieder, allerdings deutsche. Obwohl der Chor klanglich definitiv nicht mit dem Chor im Kloster mithalten kann, gehe ich sehr gerne dort hin. Mir gefällt nicht nur die entspannte und nette Atmosphäre, sondern es macht mir auch viel Spaß alte deutsche Volkslieder kennenzulernen und zu singen.

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Der Chor aus dem deutschen Forum – leider hat die Chefin ein Mikrofon im Gesicht

Nach dem Chor besuchen Elena und ich die Tanzgruppe in dem Haus. Dort tanzen wir deutsche Volkstänze. Momentan steht zwar nur ein Walzer auf dem Programm, aber bei unserer letzten Aufführung durfte ich einige andere Tanzgruppen bestaunen und ich freue mich jetzt schon riesig, die einfachen, aber schönen Tänze zu lernen:)

Die restlichen Tage der Arbeitswoche verbringe ich in Carani. Und auch hier ist die Weihnachtsstimmung angekommen. Wenn meine Kollegin und ich morgens mit dem Kleinbus von Timişoara aus starten und die Kinder aus den umliegenden Dörfern abholen, läuft inzwischen immer eine Weihnachtsplaylist. Und natürlich singen und tanzen wir dann alle mit.

Samstags ist unser Putztag in der WG. Der ist besonders sinnvoll für mich, weil ich im Laufe der Woche (oder eines Tages) es immer schaffe mein Zimmer von neuem zu verwüsten. Das ist auch bei den beiden andern aus der WG angekommen. Ida meinte letztens: „Was ist der Satz den Johanna am häufigsten sagt? Ich muss mein Zimmer aufräumen!“

Sonntags schließt die Woche mit dem gemeinsamen Kirchengang und anschließendem Essen im Kloster. Nachmittags spiele ich manchmal mit drei älteren Damen, die ich auf einem Ausflug kennengelernt habe, Phase 10. Somit findet meine Woche einen sehr schönen Abschluss.

Carani: Arbeitsalltag

Nach drei Monaten in Rumänien habe ich einen guten Einblick in meine Arbeitsstelle gewonnen und möchte ein paar meiner Eindrücke & Gedanken zu meiner Arbeit mit euch teilen.

Die „Casa Sfânta Maria“ („Haus Heilige Maria“) wurde 1993 in Carani, einem Dorf in der Nähe Timişoaras, als Tagesstätte für Kinder mit Behinderungen eröffnet. Anfangs kamen vier Kinder in die Einrichtung. Jetzt sind es insgesamt 31 Personen, die über die Wochentage verteilt kommen. Die ersten Mädchen, die vor über 20 Jahren in die Tagesstätte kamen, sind heute erwachsene Frauen. Somit erstreckt sich das Alter der Gruppe von fünfjährigen Kindern über Jugendliche bis hin zu jungen Erwachsenen mit 33 Jahren.

Auch das Haus hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Zu Beginn allein eine Tagesstätte, die der Betreuung und Sozialisation (vereinfacht ausgedrückt: Erlernen von sozialen Werten & Normen und Findung der eigenen Identität in einem sozialen Umfeld) dienen sollte, wird heute in Carani noch zusätzlich Bewegungstherapie, Logopädie (Sprachheilkunde) und im kleinen Rahmen Schulbildung angeboten.

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beim Bäume basteln

Als allgemeines Tagesprogramm basteln wir, spielen Brettspiele, bauen Lego, puzzeln oder verbringen gemeinsame Zeit in der Gruppe mit verschiedenen Aktivitäten. Zum Beispiel singen wir gemeinsam oder sprechen über ein bestimmtes, zur Allgemeinbildung gehörendes Thema.

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Herbstfrüchte erkunden in der Gruppe

Das vielfältige Angebot in Carani ist darauf zurückzuführen, dass die Behinderungen der Kinder und Erwachsenen sehr verschieden sind: Manche sind allein körperlich behindert, andere geistig und wieder andere sind sowohl geistig als auch körperlich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass z. B. eine geistige Behinderung wie Autismus bei jedem Einzelnen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.

Da zu uns ziemlich viele Kinder mit Autismus kommen, möchte ich etwas näher darauf eingehen. Autismus ist sehr vereinfacht definiert eine neurologische Entwicklungsstörung, die den sozialen Umgang mit Menschen, die Kommunikation und das eigene Verhalten beeinflusst. Im echten Leben kann das dann wie folgt aussehen:

Da ist z. B. das Mädchen, das mir auf Tabara zugeteilt war. Ziemlich lange habe ich mich gefragt, was sie eigentlich für eine Behinderung habe. Auffällig fand ich, dass sie etwas unhöflich sein konnte, nicht sehr viel Rücksicht auf andere nahm und manchmal quengelte. Letztendlich erklärte mir eine Kollegin, dass dieses Mädchen Autismus habe, deswegen oft Sätze wiederhole (was ich als ungeduldiges und quengliges Verhalten wahrgenommen hatte) und auf die Ordnung ihres Umfelds sehr genau achte.

Dann ist da der Junge, der viel singt und oft in seiner eigenen Welt zu sein scheint. Er spricht fast nie bzw. antwortet nur auf direkte Fragen mit ja oder nein. Trotzdem scheint er alles, was man sagt, zu verstehen. Das sehe ich daran, dass er auf eine Aufforderung hin immer das macht, was man ihm aufträgt.

Ein anderer Junge spricht gar nicht, äußert sich aber mit verschiedenen Lauten. Er wiederholt oft bestimmte Handbewegungen und andere Bewegungsabläufe.

Die meisten Verhaltensweisen, die ich euch hier beschrieben habe, kenne ich (wenn vielleicht auch in abgeschwächter Form) von mir selbst oder von anderen Menschen ohne Behinderung. Ich summe oder singe gerne mal vor mich hin und habe öfters Tagträume. Bei mir und bei vielen Menschen aus meinem Umfeld kann man kleine Marotten feststellen. Und schließlich denken wir alle oftmals egoistisch und vergessen andere.

Wo bitte ist die Grenze zwischen „gesund“ und „behindert“? Oder eher die Grenze zwischen „normal“ und „behindert“? Muss ich Grenzen ziehen? Und was bedeutet normal für mich? Inwieweit grenzt mich mein Verständnis von Normalität ein (und andere aus)? Welche Grenzen und Hindernisse stoppen mich? Wie behindert bin ich? Und wieweit behindere ich andere?

P.S.: In meinem letzten Eintrag habe ich angesprochen, dass es keineswegs schwerer ist, mit behinderten Menschen zu arbeiten. Man muss aber vielleicht Berührungsängste überwinden. Ich bin auf ein Video der „Aktion Mensch“ zum Thema Begnungen mit behinderten Menschen gestoßen, bei dem ich sehr schmunzeln musste. Erkennt ihr euch wieder? https://www.youtube.com/watch?v=gZFHK3OwzFM